Für seinen Roman «Koala» bekommt Bärfuss die wichtigste literarische Auszeichnung der deutschen Schweiz. Seine Miene war dennoch grimmig.
Als Lukas Bärfuss im
Foyer des Basler Theaters auf die Bühne tritt, wirkt er wie ein
Verurteilter. Ein zum Schweizer Buchpreis Verurteilter, also zu 30'000
Franken Preisgeld, einem ordentlichen Schub Aufmerksamkeit und jeder
Menge zusätzlich verkaufter Exemplare. Die Jury hat ihm gerade
bescheinigt, Koala sei ein «autonomer Roman eines gestaltungskräftigen
Autors» (solche Preisbegründungsprosa ist selbst nicht gerade
preiswürdig), der grosse Themen wie Selbstmord, Kolonialismus und
Leistungsideologie verbinde. Nun soll er auch was sagen und will nicht
so recht.
Die Entscheidung für «Koala» ist eine gute Entscheidung. Ausgehend von einer Meditation über den Selbstmord seines Halbbruders, greift der Autor weit aus in die Kolonisierungsgeschichte Australiens und widmet sich dann eingehend dem Wappentier des Landes. Der Koala ist eine biologische Merkwürdigkeit, ein Wesen, das fast nur schläft und Nahrung zu sich nimmt, die kein anderes Tier verträgt. «Koala» war der Pfadiname des toten Bruders, und mehr: Dass Untätigkeit auch eine Lebensform sein kann, ist der «Link» zwischen diesem besonderen Menschen und diesem besonderen Tier. Bärfuss’ Roman ist kein «rundes», schon gar kein perfektes Buch. Aber es berührt tief und nachhaltig, und Perfektion ist, wenn man etwa an Goethes «Faust» denkt, nicht wirklich die ausschlaggebende literarische Kategorie.
Die Nominationsliste war 2014 bunt und wild; Jurysprecherin Corina Caduff leitete das von der «grossen Diversität» des ganzen Jahrgangs ab (80 Titel hatten die Verlage eingereicht). Jedes Buch der Shortlist habe «seine eigene Entschiedenheit und Qualität». Deshalb fiel die Wahl schwer und wurde, wie sie verriet, in der letzten Sitzung erst nach dreistündiger Diskussion getroffen.
Bei fünf Kandidaten gibt es nur einen Sieger, aber – nach dem für alle Finalisten nervenzerreissenden Zeremoniell – vier Enttäuschte; vor allem Gertrud Leutenegger hatte sich mit ihrem «Panischen Frühling» gute Chancen ausrechnen dürfen. Passend, aber kaum ein Trost, dass sie wenigstens die poetischste Laudatio bekam (von Juror Andreas Nentwich). Besonders beachtet, aber nicht wirklich ein heisser Kandidat war Guy Krnetas Mundartroman «Unger Üs». Tatsächlich boomt die Mundartdichtung vor allem in der Spoken-Word-Szene, die aber wohl eine eigene Sparte zwischen Theater, Pop und Literatur bildet. Dialektromane werden die grosse Ausnahme bleiben. Und Lukas Bärfuss? Der zum Preis Verurteilte rang sich schliesslich doch zur Aufforderung durch: «Lasst uns feiern!» So wurde es dann gemacht.
Quelle: Tages-Anzeiger 10.11.14
Siehe auch Artikel: «Was bringt Kultur?»
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