Montag, 26. Mai 2014

Spitzenverdiener ohne Progression

Das Schweizer Steuersystem wirkt zum Teil degressiv: Je höher das Einkommen ist, desto weniger müssen die Steuerpflichtigen prozentual abliefern.



Die Grafik ist politisch brisant. Sie stammt aus einer noch unveröffentlichten Nationalfondsstudie und zeigt die durchschnittliche prozentuale Steuerbelastung der verschiedenen Einkommen in der Schweiz. Das Brisante dabei: Ab einer Million Franken sinkt die Kurve. Das ist ungewohnt. Gehen wir doch davon aus, dass die Steuerbelastung mit zunehmendem Einkommen steigt. Deshalb spricht man ja von Steuerprogression. Hier zeigt sich jedoch ab einem jährlichen Einkommen von einer Million Franken ein degressiver Verlauf. Will heissen: Die prozentuale Belastung sinkt mit steigendem Einkommen.

Kann das wirklich sein? Haben die Bundesrichter degressive Steuertarife nicht verboten? Doch, haben sie. Aber die Studie der Universität Basel belegt, dass es gesamtschweizerisch dennoch zu einem teils degressiven Verlauf kommt. Grund dafür ist das föderalistische Schweizer Steuersystem. Kurt Schmidheiny und Marcus Roller haben es gründlich erforscht. Dabei begnügten sie sich nicht mit einer Analyse der einzelnen kantonalen Steuertarife. Vielmehr untersuchten sie auch deren Zusammenspiel und wie sich dieses in der Realität auswirkt.

Um das Ganze zu verstehen, muss man wissen, wie das Schweizer Steuersystem ausgestaltet ist. Hierzulande kann jeder Kanton selbst entscheiden, wie viel Geld er ausgeben will und wie viel Steuern er dafür erheben möchte. Dasselbe gilt für die Gemeinden. Dies führt einerseits zu einer höheren Ausgabendisziplin als in anderen Ländern. Andererseits führt es auch zu beträchtlichen Unterschieden bei der Steuerbelastung. So zahlt ein verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern und einem Einkommen von 100'000 Franken im neuenburgischen Cressier mehr als das Sechsfache der Steuern, die er im zugerischen Baar abliefern müsste.

Solche Differenzen bewegen den einen oder anderen zum Umziehen. Doch das Wechseln der Gemeinde lohnt sich nicht für alle im selben Ausmass. Grossverdiener sparen auf diese Weise deutlich mehr Steuern und sind daher eher versucht, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Bei Kleinverdienern hingegen ist der finanzielle Anreiz eines Umzugs geringer. Bei ihnen fallen eher die hohen Mieten ins Gewicht, die in steuergünstigen Gemeinden üblicherweise verlangt werden.

Phänomen vor allem bei Ledigen
Es sind also vor allem Gutverdiener, welche die Steuerflucht ergreifen. Mit dem Resultat, dass die Einkommensklassen ungleich auf die Kantone und Gemeinden verteilt sind. In steuergünstigen Gemeinden ist der Anteil an Spitzenverdienern viel höher als in Steuerhöllen. Oder anders ausgedrückt: Unter den Spitzenverdienern wohnt ein grösserer Teil in den Kantonen Schwyz und Zug als unter den Kleinverdienern. Dies spielt bei der Berechnung der durchschnittlichen Steuerbelastung pro Einkommensklasse eine wichtige Rolle.

So fallen nämlich bei den Vielverdienern die tiefen Tarife der steuergünstigen Gemeinden stärker ins Gewicht als bei den Kleinverdienern. Bei Letzteren prägen dagegen vor allem Gemeinden mit höheren Steuertarifen das Resultat. Dieser Effekt ist zum Teil derart stark, dass er die Progression der kantonalen Steuertarife mehr als wettmacht. Dadurch sinkt die tatsächliche durchschnittliche Steuerbelastung mit steigendem Einkommen, verläuft also degressiv.
Dieses Phänomen ist nicht bei allen Steuerpflichtigen gleich ausgeprägt, wie die Basler Analyse der Steuerdaten von 2009 zeigt. Ein degressiver Verlauf lässt sich vor allem bei den Unverheirateten ab einer Million Franken beobachten. Bei Familien ist der Verlauf wegen der statistischen Unschärfe weniger klar. Aufgrund der Kinder sind sie wohl weniger mobil.

Ohrfeige für den Bundesrat
Die Erkenntnisse der Basler Forscher dürften noch zu reden geben. Wie damals vor acht Jahren, als sich die Schweiz über einen degressiven Steuertarif in Obwalden ereiferte. Dieser sah ab einem Einkommen von 300'000 Franken eine tiefere prozentuale Belastung vor. Vier Personen – darunter der vorübergehend nach Obwalden umgezogene Ex-PDA-Nationalrat Josef Zisyadis – reichten beim Bundesgericht eine Beschwerde ein. Und erhielten recht.

Zwar hielt das Bundesgericht Zisyadis nicht für beschwerdelegitimiert, wohl aber die drei anderen Personen. Und es befand mit sechs zu einer Stimme: Degressive Steuertarife sind nicht zulässig. Die Verfassung schreibe eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vor, argumentierten die Richter. Dies bedeute, dass Menschen mit höheren Einkommen und Vermögen sowohl absolut als auch prozentual mehr Steuern zahlen müssten. Degressive Steuern hingegen würden «gegen die Steuergerechtigkeit» verstossen.

Das Gerichtsurteil war auch eine schallende Ohrfeige für den damaligen Bundesrat. Hatte doch der seinerzeitige Finanzminister Hans-Rudolf Merz vor dem Urteilsspruch verlauten lassen: «Ich halte das neue Steuersystem des Kantons Obwalden für verfassungskompatibel und unterstütze es.» Und Justiz­minister Christoph Blocher meinte: «Mit der Steuerstrategie hat der Kanton ein mutiges Zeichen gesetzt. (…) Lassen Sie sich durch das Lamento der Verliererkantone nicht beirren.»

Nach dem höchstrichterlichen Urteil mussten die Obwaldner ihren Steuer­tarif doch noch ändern. Sie haben inzwischen eine sogenannte Flatrate-Tax eingeführt, die für alle Einkommen einen einheitlichen Steuersatz vorsieht. Dasselbe gilt für den Kanton Schaff­hausen: Er hat seinen degressiven Steuertarif ebenfalls durch eine Flatrate-Tax ersetzt.

Auch im Raum Zürich degressiv
Das heisst nun aber nicht, dass auch das Schweizer Steuersystem als Ganzes illegal ist und geändert werden muss. Das Bundesgericht beurteilt nur einzelne Steuertarife, nicht die Gesamtwirkung des Steuersystems. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der von der Uni Basel gezeigte degressive Effekt selbst bei isolierter Betrachtung einzelner Regionen festzustellen ist.

Konkret haben Schmidheiny und Roller ihre Analyse auch für die Agglomeration Zürich durchgeführt. Dazu gehören laut der offiziellen Definition des Bundesamtes für Statistik nicht nur 104 Zürcher Gemeinden, sondern auch 25 aus dem Aargau sowie die Schwyzer Gemeinden Feusisberg, Freienbach und Wollerau. Berechnet man die durchschnittliche Steuerbelastung pro Einkommensklasse nur für diese Agglomerationsgemeinden und lässt die übrige Schweiz weg, ändert sich das Resultat bei den Unverheirateten nur unwesentlich. Bei den Familien sinkt die prozentuale Belastung erst ab einem Einkommen von etwa fünf Millionen, dann aber massiv.

Die «effektive Progression», wie sie Schmidheiny und Roller nennen, verläuft also keineswegs immer progressiv – auch wenn die einzelnen Steuertarife einen anderen Eindruck erwecken.

Quelle: Tages-Anzeiger 23.5.14

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Mittwoch, 14. Mai 2014

Pleite droht beim Alpenschutz

Grosses Konfliktpotenzial zwischen touristischen und ökologischen Interessen: Heliskiing in Zermatt. Foto: Look Foto
Grosses Konfliktpotenzial zwischen touristischen und ökologischen Interessen: Heliskiing in Zermatt.

Sonntag, 11. Mai 2014

Lebensversicherung - ein totes Geschäft

Lohnt sich eine Lebensversicherung als Altersvorsorge?  Sie haben einen ramponierten Ruf und werden kaum mehr nachgefragt. Nur selten machen diese Produkte für die (Alters-) Vorsorge auch wirklich Sinn.

Es sei wichtig, sagt Stefan Thurnherr vom Vermögenszentrum, dass man Risiko- und Sparversicherungen getrennt voneinander betrachte. "Auch wenn Versicherer gerne Spar- und Risikoversicherungen vermischen." Bei Risikoversicherungen wird ein konkreter Vorfall wie Erwerbsunfähigkeit oder Tod versichert, während bei Sparversicherungen zusätzlich Geld angelegt wird.

Meist profitiert bloss die Versicherung
Diese gemischten Policen, die langfristiges Sparen mit einer Absicherung gegen den Todesfall kombinieren, seien meist nur zugunsten der Versicherungsgesellschaften, schrieb das Beratungsunternehmen Vermögenspartner in einer Studie. So belaufen sich die in jedem Fall garantierten Zahlungen bei Ablauf der Versicherungen oft auf weniger als die aufsummierten Prämienzahlungen. Bei einem der Schweizer Marktführer, der Allianz Suisse, bekommt ein 50-Jähriger mit einer Einmalprämie von 100'000 Franken nach 10 Jahren bloss 97'000 Franken garantiert.

Unter Experten herrscht denn auch Einigkeit: Lebensversicherungen eignen sich nicht, um Geld anzulegen. Gemischte Versicherungen seien das falsche Produkt, sagt Stefan Thurnherr. "Die Geldanlage ist bei einer Bank besser aufgehoben. Einerseits sind Sparversicherungen sehr unflexibel, andererseits fallen dabei hohe Provisionen an. Ein Säule-3a-Konto ist die bessere Lösung, auch weil es aus steuerlichen Gründen attraktiv ist." Sparversicherungen würden denn auch kaum mehr nachgefragt, so Thurnherr. "Es ist ein totes Geschäft."

Geld bleibt auf der Strecke
Mit zur Inflexibilität tragen die erschwerten Bedingungen zum vorzeitigen Ausstieg aus Lebensversicherungen bei. Von einem solchen Erlebnis berichtet auch cash-Leser Daniel Z. Er wollte aus einer fondsgebundenen Lebensversicherung aussteigen und ahnte nicht, wie viel Aufwand hinter diesem Vorhaben steckte.

"Schon nur den Rückkaufwert zu ermitteln, war eine Tortur. Es wurden zunächst falsche Aussagen gemacht wie etwa die, dass dies nicht möglich sei." Als der Rückkaufwert dann feststand, war die Ernüchterung noch grösser. "Es stellte sich heraus, dass etwa die Hälfte des einbezahlten Kapitals verloren ginge, wollte man vom Vertrag zurücktreten", sagt Daniel Z. Es ist also unbedingt ratsam, vor Abschluss einer Sparversicherung stets eine Rückkaufofferte einzufordern.

Ganz allgemein gilt, dass Aktienanlagen ausserhalb von Versicherungen billiger sind. Dennoch gibt es Sparversicherungen, die in gewissen Fällen Sinn machen können. Dazu gehört unter Umständen eine Leibrente. "Beispielsweise wenn Eltern ein drogensüchtiges Kind haben und diesem das Erbe stückweise übergeben wollen", so Versicherungsexperte Thurnherr.

Besteht ein Absicherungsbedarf?
Bevor man in eine Risikoversicherung einsteigt, sollte man sich vergewissern, ob überhaupt Absicherungsbedarf besteht. So ist man beispielsweise gegen Unfall in der Regel über den Arbeitgeber versichert. Wer sich gegen Invalidität absichern lassen möchte, sollte laut Thurnherr eine Faustregel beachten: "Eine alleinstehende Person braucht noch 70 Prozent des ursprünglichen Einkommens und eine Familie 80 bis 90 Prozent." Und noch ein Tipp: Alleinstehende Personen brauchen keine Todesfallversicherung, weil bei ihrem Ableben niemand von einer solchen Versicherung profitieren könnte.

Wird dennoch eine Vorsorgelücke entdeckt, bietet es sich oft an, diese in Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber zu lösen. Denn häufig haben andere Angestellte dasselbe Problem. Bevor man sich langfristig an eine Lebensversicherung bindet, gilt es auf jeden Fall, genau hinzuschauen. Denn schnell ändert sich eine Lebenssituation und somit die Bedürfnisse eines Versicherten.

Quelle: Von Ivo Ruch / Cash 

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Montag, 5. Mai 2014

Für Renovationen zahlen (am Ende) die MieterInnen

Wenn der Vermieter neue Fenster einbaut oder das Bad saniert, darf er den Mietzins erhöhen. Um wie viel, können Mieter mit geringem Aufwand selber ausrechnen. 

Bei einer umfassenden Sanierung darf der Vermieter 50 bis 70 Prozent der Kosten auf den Mietzins schlagen.
Bei einer umfassenden Sanierung darf der Vermieter 50 bis 70 Prozent der Kosten auf den Mietzins schlagen. Bild: Alamy

«Auf vielfachen Wunsch bringen wir im nächsten Mai auf allen Balkonen Sonnenstoren an», teilte die Hausverwaltung einer Mieterin im Kanton St. Gallen mit. «Ihre Miete wird sich damit voraussichtlich um ca. 30 Franken pro Monat verteuern.» Solche Ankündigungen lösen immer wieder die gleiche Frage aus: «Muss ich diesen Aufschlag akzeptieren?» Die Antwort können sich Mieter gleich selber geben – in drei Schritten:

1. Mehrwert ermitteln
Im Sonnenstoren-Fall ist die Sache klar: Der Mehrwert entspricht den gesamten Investitionskosten, weil der Vermieter eine neue, bisher nicht vorhandene Einrichtung installiert. Die Wohnung ist somit um diesen Betrag mehr wert, und der Vermieter darf die Kosten vollumfänglich auf den Mieter überwälzen. Das gilt zum Beispiel auch, wenn er eine ­Solaranlage aufs Dach stellt.
Umgekehrt liegen Fälle, in denen eine Neuerung dem Mieter keinen Vorteil bezüglich Standard, Qualität, Energieverbrauch oder Benutzerfreundlichkeit bringt. Hier darf der Vermieter die Miete nicht erhöhen – der Mehrwert ist gleich null. Zu denken ist etwa an den Ersatz einer Waschmaschine durch eine neue von ungefähr gleicher Qualität und Leistung. Das ist reiner Unterhalt, der bereits im Mietzins enthalten ist. Laut dem Zürcher Mietgericht sind auch Brandschutzmassnahmen werterhaltender Natur, wenn der Vermieter damit feuerpolizeiliche Vorschriften erfüllt. Zwischen diesen Extremen liegen all jene Fälle, in denen der Vermieter eine bestehende Einrichtung durch eine neue mit deutlich höherem Standard oder Komfort ersetzt. Beispiele: Die neuen Fenster haben Isolierverglasung, der Backofen verfügt zusätzlich über Grillfunktionen. Dann kann man den Mehrwert bestimmen, indem man von der ­Investitionssumme den Betrag abzieht, den ein gleichwertiger Ersatz gekostet hätte. Sind die Isolierfenster beispielsweise 5000 Franken teurer als herkömmliche, ist das der Mehrwert.

Nun ist es oft so, dass gleichwertiger Ersatz gar nicht mehr erhältlich ist und demzufolge auch kein aktueller Preis existiert. Das gilt etwa bei technischen Geräten, die immer multifunktionaler, bedienungsfreundlicher und energiesparender werden. Es bleibt dann nichts anderes übrig, als den Mehrwert mithilfe einer Fachperson zu schätzen.

Schliesslich ein Spezialfall: Renoviert der Vermieter umfassend, baut er also etwa eine neue Küche oder ein neues Bad ein und saniert Dach und Fassade, so darf er laut der massgeblichen Verordnung «in der Regel 50 bis 70 Prozent» seiner Auslagen dem Mieter überbürden. Ob eher 70 oder eher 50 Prozent hängt laut Felicitas Huggenberger vom Mieterinnen- und Mieterverband Zürich davon ab, «ob der Vermieter wesentliche Neuerungen vornimmt oder die Wohnung lediglich wieder auf den neusten Stand bringt.» Der Mehrwertanteil entspricht also in der Regel 50, 60 oder 70 Prozent der Renovationskosten. Über deren Höhe muss der Vermieter Auskunft geben.

Diese vereinfachte und für Vermieter vorteilhafte Abrechnungsart soll Hauseigentümer «zur Sanierung älterer Bauten ermuntern oder sie wenigstens nicht davon abhalten», heisst es in einem Urteil des Bundesgerichts. Wichtig dabei: Die 50-bis-70-Prozent-Regel ist nur bei umfassenden Sanierungen anwendbar. Lässt ein Vermieter bloss punktuelle Arbeiten ausführen, deren Kosten er problemlos getrennt ausweisen kann, darf er sich nicht darauf berufen. Deshalb legte das Bundesgericht im erwähnten Urteil den Mietzinsaufschlag für eine Küchen- und Fensterrenovation separat fest. Bei der Küche kam es auf 60 Prozent, bei den Fenstern auf 40 Prozent. Die neuen, doppelt verglasten Fenster seien einfacher zu reinigen, verbesserten das Wohnklima und senkten die Heizkosten, so die Begründung.

2. Faktor bestimmen
Kennt man den Mehrwert, braucht man nur noch den Kapitalisierungsfaktor, um die zulässige Mietzinserhöhung zu berechnen. Er ergibt sich, wenn man 100 durch die voraussichtliche Lebensdauer der neuen Einrichtung teilt und zum Ergebnis 2,25 dazuzählt. Konkret: Gemäss der paritätischen Lebensdauertabelle* von Hauseigentümer- und Mieterverband hat der eingangs erwähnte Sonnenstoren eine Lebenserwartung von 15 Jahren. 100 geteilt durch 15 ergibt 6,67, plus 2,25 ergibt 8,92 Prozent. Um so viele Prozente des Mehrwerts darf die Miete jährlich steigen. Die Berechnung des Kapitalisierungsfaktors basiert auf dem aktuellen Referenzzins von 2 Prozent. Nähere Informationen dazu finden sich unter www.mietrecht.ch (Rubrik «wertvermehrende Investitionen»). Dort steht auch ein Tool zur Verfügung, das Mietern hilft, den zulässigen Aufschlag zu berechnen. Vorsicht: Für subventionierte und luxuriöse Wohnungen gelten andere Regeln.

3. Mietzinsaufschlag berechnen
Multiplizieren Sie nun den Mehrwert mit dem Kapitalisierungsfaktor und teilen Sie das Ergebnis durch 100. Angenommen, der neu montierte Sonnenstoren koste 2000 Franken, so ergibt sich ein jährlicher Mietzinsaufschlag von 178.40 Franken (2000 x8,92 : 100). Das sind knapp 15 Franken pro Monat – und nicht 30, wie die Verwaltung in unserem Beispiel angekündigt hat.

Sind nur die Investitionskosten für das ganze Mietshaus bekannt (nicht für die einzelnen Wohnungen), kann man auch mit diesen rechnen. Dann gilt es aber am Ende, den errechneten Betrag nach einem gerechten Schlüssel auf die Mietparteien zu verteilen. Meist orientiert man sich an der Wohnungsgrösse.

* Die Tabelle ist zu finden unter www.mietrecht.ch oder kann beim Mieterverband bestellt werden (043 243 40 40). (Tages-Anzeiger)

Quelle: Tages-Anzeiger 5.5.14

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Donnerstag, 1. Mai 2014

Kunst ist, wenn man streitet

Mit dem Hafenkran bleiben Zürich zwei Möglichkeiten: Entweder, sich verschämt zu ducken. Oder: erhobenen Hauptes einen Hauch von Freak zu präsentieren.
 
 «Wir protestieren gegen den unnötigen und ungeheuerlichen Koloss im Herzen unserer Stadt, der diese auf ebenso lächerliche wie düstere Weise überragt und alles ringsum durch seine blosse Anwesenheit demütigt.» Hafenkran-Genörgel? Weit gefehlt! Diese klaren Worte, ausgerechnet aus kollektivem Künstlermund, wurden bereits 1887 geäussert – aus Unmut über ein Bauwerk, das die Gemüter damals mindestens so sehr erhitzte wie jetzt der Rostocker Gast am Limmatquai: der Eiffelturm. Zwei ganz verschiedene Paar Schuhe? Nicht doch. Sicher, das Pariser Wahrzeichen misst 300 statt 30 Meter und bringt das eine oder andere Tönnchen mehr auf die Waage; sein Aufbau dauerte stolze zwei Jahre, und er war auch nicht nur für einen Sommer konzipiert, sondern für deren 20. Trotzdem sind gewisse Parallelen zwischen den beiden Stahlkolossen nicht von der Hand zu weisen: Beide gingen aus städtebaulichen Wettbewerben hervor, beide verströmen industriellen Chic, beide waren sie – zumindest, was ihre Funktion anbelangt – nicht zwingend nötig. Und: Beiden blies eiskalter Wind entgegen.

Aber so ist das nun einmal mit Wahrzeichen und Ikonen: Was ein echter Meilenstein werden will, muss erst mal unten durch. Denken wir an Marcel Duchamp: Der nahm 1917 ein Pissoir von der Wand, stellte es auf einen Sockel und nannte das Ganze «Fontäne». Der Spott war gross – und das Readymade, das den Kunstbegriff radikal umkrempeln sollte, geboren. Weil es die vermeintliche Kulturlosigkeit des Alltags, die Profanität des Gebrauchsgegenstandes hinterfragte – und letztlich widerlegte: Heute steht Duchamps Pissoir im Museum. 

Warum also nicht auch den Hafenkran als Readymade verstehen? «Kran-Vater» Jan Morgenthaler hat schliesslich nichts anderes getan als einst Duchamp: den Kran seines natürlichen Kontexts enthoben und ihn an einen Ort verpflanzt, wo er eigentlich nicht hingehört. Wo er stört, ungenutzt im Weg steht, irritiert. Und wo er Affront ist für den verwöhnten Zürcher Kulturkonsumenten, der sich im Kunsthaus Monet zu Gemüte führt und im Opernhaus jede Oper samt Werkeinführung und Übertitel serviert bekommt. Ihn packt Morgenthaler dort, wo es so richtig unbequem ist: mit der einen Hand beim Augapfel, mit der anderen beim Intellekt. Denn um die – zugegeben spröden – Reize des Krans zu entdecken, reicht es eben nicht, den Hintern auf samtbezogene Polster zu platzieren oder affirmativ zum Gesäusel aus dem Audioguide zu nicken. Da muss man schon über ästhetische Hürden springen, muss geschmackliche Schranken einreissen und, vielleicht, zweimal hingucken, um wirklich zu sehen.

Das ist nicht anders als beim Sport: Wer wirklich Resultate erzielen will, muss schwitzen, den inneren Schweinehund überwinden, auch mal Schmerzen in Kauf nehmen. Der kulturelle Horizont ist wie ein Muskel: Wer ihn nicht trainiert, der darf sich nicht wundern, wenn da nichts wächst.

Mit dem Hafenkran hat Zürich seinen blau-weissen Hintern tatsächlich hochgekriegt. Sich endlich mal mehr getraut als bunte, debil lächelnde Teddybären. Ein Zeichen gesetzt wie eine Mittsiebzigerin, die sich ein bauchfreies T-Shirt überstreift und einen Irokesenkamm schneidet. Da wird halt geschnödet, weil so ein faltiger Bauch das gängige Schönheitsempfinden ebenso herausfordert wie eine kräftig durchgerostete Stahlkonstruktion. Und der Irokese zur Rentnerin beziehungsweise ein Kran in die Binnenstadt passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, um ein Sprachbild zu bemühen, das diese wunderbare Doppeldeutigkeit in sich trägt, wonach zwei Dinge scheinbar so ganz und gar nicht miteinander korrelieren, es aber halt doch passt wie angegossen. 

So guckt jetzt also alles auf die aufgebrezelte Oma Zürich, der nun zwei Möglichkeiten bleiben. Entweder, sich verschämt zu ducken. Oder: erhobenen Hauptes einen Hauch von Freak zu präsentieren und sich über die bewundernden Blicke zu freuen für den Mut, nonkonformistisch zu sein. 

«Vorsicht Quetschgefahr» steht auf der Tafel an einem der drei Stahlbeine «unseres» Krans, was Sinn macht, da diese einst auf Schienen fuhren. Heute muss man nicht mehr befürchten, sich etwas einzuklemmen; unter die Räder kommt höchstens die Borniertheit jener, die den Metallkoloss von vornherein als Quatsch abtun, als Vernichtungsmaschine von Hunderttausenden von Franken, die man besser in etwas Sinnvolles investiert hätte. Und richtig: Der Kran ist – einfach nur da. Lupft keinen Container mehr durch die Gegend, darf nicht erklettert werden, macht keine Werbung für irgendetwas und auch sonst keine Faxen. Und das ist auch gut so, denn genau das macht ihn zu – Kunst. Und zwar nicht im falschen Sinne von «schön anzusehen». Denn das sind Dekoartikel. Auch nicht im Sinne von «handwerklich anspruchsvoll». Das ist die chirurgische Trennung siamesischer Zwillinge. Nein: Kunst ist dann, wenn etwas aufrüttelt und zu intellektueller und emotionaler Reaktion auffordert. Zum Beispiel, weil es abgewrackt und deplatziert ist. Kunst ist, wenn eben nicht alle gleicher Meinung sind. Sie ist mehrschichtig, gern auch uneindeutig.

«Zürich Transit Maritim» heisst das Hafenkranprojekt offiziell und will damit nicht nur ans Gedankenexperiment von Zürich als Hafenstadt anspielen. Das Wort «transit», aus dem lateinischen «trans» (durch) und «ire» (gehen) zusammengesetzt, trägt mehr als die künftige Weiterreise des Metallkolosses in sich: nämlich die Vergänglichkeit ganz allgemein. 

Die Zeit des Krans ist abgelaufen, das verrät ein Blick auf seine rostzerfressene Hülle; das elektronische Innenleben wurde ihm längst schon rausoperiert. Resultat? Ein Kraftprotz, ders nicht mehr bringt. Noch ein paar Monate im Rampenlicht, dann ergeht es ihm nicht besser als irgendwann jedem von uns. Memento mori!, ächzt das Stahlgerippe – und wird gleich noch einmal doppeldeutig: Über der Limmat baumelt der schwere Transporthaken am Drahtseil wie der Strick vom Galgen; folgt das Auge aber dem Ausleger, blickt man direkt ins Blau des Himmels.

Beim Kran – da geht es um Vergänglichkeit. Aber auch um Grösse, Kraft, Potenz, Leistung. Und von da aus weiter zu Standhaftigkeit, Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und wahrer Schönheit. Es geht um die Fallstricke der Leistungsgesellschaft, die Frage nach der Notwendigkeit, sich anzupassen, und um den Mut herauszustechen. Es geht ums Anderssein, Fremdsein und, umgekehrt, um das Vermögen, mit Fremdem umzugehen. Denn letztlich ist Kunst vor allem auch eines: ein Spiegel. Weshalb die Meinung zum Kunstwerk mehr über den aussagt, der sie äussert, als über das Werk an sich. Und wer sich selbst im Kunstwerk – im Kran! – nicht erkennt, der hat nicht gut genug hingesehen.

Übrigens: Kaum stand der Eiffelturm, da schrieb ein Journalist: «Wie viele andere habe ich geglaubt, der Eiffelturm sei ein Wahnsinn. Aber es ist ein grossartiger, stolzer Wahnsinn! Gewiss, diese ungeheure Masse erdrückt. Aber was wollt ihr? Er spricht die Fantasie an, ist etwas Unerwartetes, etwas Fantastisches, das unserer Kleinheit guttut.» Statt ihn, wie geplant, nach 20 Jahren abzureissen, liess man den Eiffelturm, wo er war. Wo er nicht hinpasste, aber hingehörte. In diesem Sinn: Lassen wir den Kran stehen! Der Kran haut uns aufs Auge, packt uns beim Intellekt und trainiert unsere ästhetische Muskulatur.

Quelle: Tages-Anzeiger 19. April 2014

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