Für seinen Roman «Koala» bekommt Bärfuss die wichtigste literarische
Auszeichnung der deutschen Schweiz. Seine Miene war dennoch grimmig.
Als Lukas Bärfuss im
Foyer des Basler Theaters auf die Bühne tritt, wirkt er wie ein
Verurteilter. Ein zum Schweizer Buchpreis Verurteilter, also zu 30'000
Franken Preisgeld, einem ordentlichen Schub Aufmerksamkeit und jeder
Menge zusätzlich verkaufter Exemplare. Die Jury hat ihm gerade
bescheinigt, Koala sei ein «autonomer Roman eines gestaltungskräftigen
Autors» (solche Preisbegründungsprosa ist selbst nicht gerade
preiswürdig), der grosse Themen wie Selbstmord, Kolonialismus und
Leistungsideologie verbinde. Nun soll er auch was sagen und will nicht
so recht.
Die grimmige Miene ist aber wohl rein retrospektiv zu
verstehen, sie betrifft die Wochen der Warte-, Reise- und Lesezeit
zwischen Nomination und Preisverleihung. Es sei «total unerträglich,
was man da erleben muss» – erträglich nur durch die vier Kollegen,
«die das mit durchgemacht haben». Ihnen, den Mitnominierten – Gertrud
Leutenegger, Dorothee Elmiger, Heinz Helle und Guy Krneta – dankt
Bärfuss in einer sympathischen Geste als erstes.
Die Entscheidung
für «Koala» ist eine gute Entscheidung. Ausgehend von einer Meditation
über den Selbstmord seines Halbbruders, greift der Autor weit aus in die
Kolonisierungsgeschichte Australiens und widmet sich dann eingehend dem
Wappentier des Landes. Der Koala ist eine biologische Merkwürdigkeit,
ein Wesen, das fast nur schläft und Nahrung zu sich nimmt, die kein
anderes Tier verträgt.
«Koala» war der Pfadiname des toten Bruders, und mehr: Dass Untätigkeit
auch eine Lebensform sein kann, ist der «Link» zwischen diesem
besonderen Menschen und diesem besonderen Tier. Bärfuss’ Roman ist kein
«rundes», schon gar kein perfektes Buch. Aber es berührt tief und
nachhaltig, und Perfektion ist, wenn man etwa an Goethes «Faust» denkt,
nicht wirklich die ausschlaggebende literarische Kategorie.
Die
Nominationsliste war 2014 bunt und wild; Jurysprecherin Corina Caduff
leitete das von der «grossen Diversität» des ganzen Jahrgangs ab (80
Titel hatten die Verlage eingereicht). Jedes Buch der Shortlist habe
«seine eigene Entschiedenheit und Qualität». Deshalb fiel die Wahl
schwer und wurde, wie sie verriet, in der letzten Sitzung erst nach
dreistündiger Diskussion getroffen.
Bei fünf Kandidaten gibt es
nur einen Sieger, aber – nach dem für alle Finalisten
nervenzerreissenden Zeremoniell – vier Enttäuschte; vor allem Gertrud
Leutenegger hatte sich mit ihrem «Panischen Frühling» gute Chancen
ausrechnen dürfen. Passend, aber kaum ein Trost, dass sie wenigstens die
poetischste Laudatio bekam (von Juror Andreas Nentwich). Besonders
beachtet, aber nicht wirklich ein heisser Kandidat war Guy Krnetas
Mundartroman «Unger Üs». Tatsächlich boomt die Mundartdichtung vor allem
in der Spoken-Word-Szene, die aber wohl eine eigene Sparte zwischen
Theater, Pop und Literatur bildet. Dialektromane werden die grosse
Ausnahme bleiben. Und Lukas Bärfuss? Der zum Preis Verurteilte rang sich
schliesslich doch zur Aufforderung durch: «Lasst uns feiern!» So wurde
es dann gemacht.
Quelle: Tages-Anzeiger 10.11.14
Siehe auch Artikel:
«Was bringt Kultur?»
^^^ Nach oben