Montag, 10. März 2014

Die Auswirkungen des Mindestlohns

Höhere Löhne für Putzkräfte, Servicepersonal, Coiffeure und Landwirtschaftshilfen haben ihren Preis. Und wie hoch genau wird der sein?

Die Mindestlohninitiative ist auch eine Rechenaufgabe. Was passiert in einem Restaurant, wenn eine Küchenhilfe neu 22 Franken pro Stunde kostet? Um wie viel steigt der Preis für Reinigungsarbeiten, wenn das Salär von Putzkräften auf 4000 Franken pro Monat gehoben wird? Der TA hat Betriebsökonomen gebeten, den Taschenrechner hervorzunehmen.

Gastronomie
Aktuell verdient dort jeder fünfte Angestellte weniger als das geforderte Minimum. Der Mindestlohn für die tiefste Stufe liegt bei 3407 Franken pro Monat bzw. bei 20.28 Franken pro Stunde (inklusive des 13. Monatslohns bei einer angenommenen Arbeitszeit von 42 Stunden). Ein Ja am 18. Mai zum «Schutz fairer Löhne» würde bedeuten, dass diese Saläre angehoben werden müssten – um 8,5 Prozent innerhalb der dreijährigen Umsetzungsfrist.
Was wären die Folgen? Berechnungen des Unia-Ökonomen Beat Baumann zufolge würden die Kosten insgesamt um zwei bis drei Prozent steigen. Dies in einem Musterbetrieb mit einem Chef, fünf gelernten und fünf ungelernten Angestellten. Umgerechnet auf eine Tasse Kaffee im Wert von 4.20 Franken wäre dies ein Kostenanstieg von 9 Rappen. In Saisonbetrieben mit gleichem Lohn, aber längeren Arbeitszeiten, läge der Kaffeepreisanstieg bei 14 Rappen.
So weit der direkte Effekt der Mindestlohnanhebung. Branchenvertretern zufolge wäre dies aber noch nicht alles. Klaus Künzli, Präsident von Gastrosuisse, befürchtet das Ingangsetzen einer Lohnspirale: Mindestlöhne um 4000 Franken würden auf der nächsthöheren Lohnstufe Begehrlichkeiten wecken. Für Personen mit Lehrabschluss liegt der aktuelle GAV-Lohn bei 4108 Franken. Als realistisch erachtet Künzli eine Differenz von mehreren Hundert Franken.
Angaben der Unia zufolge arbeiten in der Gastronomie rund 46'000 Tieflöhner. «Die nötigen Anpassungen wären durchaus tragbar», sagt Beat Baumann, «die finanzielle Existenz des Durchschnittsbetriebs wäre in keiner Weise gefährdet».

Büroreinigung
Dieselbe Schlussfolgerung gilt laut Baumann auch für diesen Bereich. Ab 2015 gilt hier ein Mindestlohn von umgerechnet 20 Franken pro Stunde. Höher sind die Löhne in anderen Sparten wie der Spital- oder Spezialreinigung. In einem Unternehmen, das Dienstleistungen in allen drei Bereichen offeriert, würde die Initiative laut Baumann ein Kostenwachstum von 4,2 Prozent auslösen. «Das wäre zumutbar», urteilt er. Betriebe, die ihre Büros von Drittanbietern reinigen lassen, würden diesen Anstieg verkraften.
Kritischer sieht dies die Branche selbst. Reinigungsunternehmer Karl Enzler beziffert das Kostenwachstum inklusive Lohnanpassung für Arbeitskräfte knapp oberhalb der Minimallohnschwelle auf 8 Prozent. Laut Enzler sind die Margen im Reinigungsgeschäft klein, deshalb werde man diese Kosten nach und nach auf die Kunden überwälzen müssen. Allerdings glaubt auch Enzler, dass die Kunden dies schlucken würden. «Man kann Reinigungskräfte nur schlecht durch Roboter ersetzen.» Zu einem Jobsterben in der Reinigung werde die Mindestlohninitiative nicht führen.

Coiffeure
In dieser Branche wäre ein Mindestlohn von 4000 Franken eine deutliche Erhöhung zum aktuellen Lohnniveau. Im Gesamtarbeitsvertrag sind derzeit 3600 Franken pro Monat vorgegeben, für Angelernte sind es 3240 Franken. Dies aber nur, sofern sie über einen Anlehr- oder Attestausweis verfügen respektive eine mindestens zweijährige Ausbildung bei einer privaten Fachschule absolviert haben. Das haben längst nicht alle Arbeitnehmenden in dieser Branche. «In grenznahen Gebieten sind bei Unqualifizierten Löhne unter 3000 Franken gang und gäbe», sagt Irene Darwich von der Gewerkschaft Syna. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass die Coiffeurbetriebe eine Anhebung des Mindestlohnes verkraften könnten, «ohne dass sich das extrem auf die Preise auswirken müsste».
Dem widerspricht Kuno Giger, Präsident des Verbandes des Verbandes Coiffure Suisse: «Die Preise müssten um 20 Prozent angehoben werden, um einen Betrieb weiterhin rentabel führen zu können.» Konkret: Für Herrenhaarschnitte, bei denen sich die Preise laut Giger in der Schweiz zwischen 18 und 80 Franken bewegen, käme das einem Aufschlag von 3.60 bis 16 Franken gleich.
Marc Riedo, der im Kanton Bern sechs Geschäfte führt, will diese Schätzung nicht bestätigen. Schon heute seien die Preisstrategien von Salons sehr unterschiedlich. Schwierigkeiten bei einem Ja zu den Mindestlöhnen hätten laut Riedo vor allem die Lehrabgänger und Wiedereinsteiger. Viele Geschäfte könnten es sich nicht leisten, diese Angestellten ein Jahr lang durchzufüttern – das heisst, sie in dieser Zeit querzusubventionieren, in der sie bereits Kosten verursachen, aber noch keinen eigenen Kundenstamm haben.

Detailhandel
Hier bezahlen die grossen Player wie Migros, Coop oder Lidl bereits heute Mindestlöhne über 4000 Franken. Tiefer sind die Löhne in manchen Bäckereien und Quartierläden sowie im Schuh- und Bekleidungshandel. Besonders betroffen sind die Schweizer Filialen von internationalen Bekleidungsketten: Als schwarze Schafe nennt die Unia regelmässig Namen wie Zara oder Tally Weijl.
Maximal fünf Prozent würden die Kosten dieser Läden steigen, schätzt Beat Baumann – dies, falls ein Geschäft bisher den absoluten Tiefstlohn von monatlich 3200 Franken bezahlt hat. Laut dem Ökonomen könnten die Läden diese Kostensteigerung selbst abfangen, das heisst, von der bisherigen Profitmarge abziehen. In diesem Fall würden die neuen Sneakers oder das modische Oberteil für die Kunden nicht teurer. Tally Weijl war gegenüber dem TA für eine Stellungnahme nicht verfügbar.

Landwirtschaft
Unter allen Branchen verzeichnet die Landwirtschaft die krassesten Diskrepanzen. Bauern stellen Tieflöhner dort ein, wo die Produktion viel Handarbeit erfordert. Entsprechend würden die Kosten im Gemüseanbau sowie dem Obst- und Weinbau hochschnellen. «Ein Mindestlohn von 22 Franken würde theoretisch einen Kostenschub von 450 Millionen Franken auslösen», sagt Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbandes. Theoretisch – weil Ritter davon ausgeht, dass ein solcher Preisaufschlag nicht überwälzt werden könnte: «Der Grenzschutz limitiert hier die Preise gegen oben. Ein solcher Aufschlag liesse sich am Markt nicht durchsetzen.» Gemessen am Produktionswert der Schweizer Landwirtschaft von 9,5 Milliarden entsprächen die 450 Millionen einer Teuerung von 4,7 Prozent.
Der Mindestlohn liegt aktuell bei knapp 3170 Franken – für eine 55-Stunden-Woche. Das ergibt einen Stundenlohn von 13 Franken. Laut Schweizer Bauernverband verdient eine Arbeitskraft aus der Familie in einem Landwirtschaftsbetrieb rund 15 Franken pro Stunde. «Wenn die Bauernfamilie einem Angestellten 22 Franken pro Stunde bezahlen muss, würde dieser rund die Hälfte mehr verdienen, ohne ein unternehmerisches Risiko mitzutragen», argumentiert der Verband.

Angst vor Sozialfällen ...
So weit also die Rechenbeispiele. Beim Mindestlohn geht es um mehr als das. Es geht um Grenzregionen, wo «gewerbliche Zulieferbetriebe Probleme bekommen werden, weil man sich die Waren und Dienstleistungen zunehmend im Ausland beschafft», sagt Valentin Vogt, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Es gehe um Mitarbeiter, die laut Vogt mittelfristig zu Sozialfällen zu werden drohten, weil die Jobsuche für niedrig Qualifizierte und Leistungsschwache zusätzlich erschwert würde. «Jobvernichtungsmaschine» nennt Gewerbeverbandspräsident Hans-Ulrich Bigler die Mindestlohninitiative. Die Gewerkschaften betonen, es gehe bei den Mindestlöhnen auch um den Schutz der Frauen, den Kampf gegen «Dumping-Zuwanderung» und die Förderung des Strukturwandels hin zu wertschöpfungsstärkeren Arbeitsplätzen.
... und Konkurrenznachteilen
«Es kann nicht sein, dass der Staat derart in die Souveränität der Unternehmen eingreift», sagt Eva Jaisli, Chefin des Werkzeugherstellers PB Swiss Tools. Jaisli zufolge liegt der Mindestlohn für Ungelernte in ihrem Unternehmen schon heute über der Forderung des Initiativtexts. Arbeiten wie die Reinigung erledige die Firma selbst; über die Zulieferung von Dingen wie dem Verpackungsmaterial sei ein gewisser Teuerungseffekt voraussehbar. «Die Initiative hätte für PB Swiss Tools keine unmittelbaren Veränderungen zur Folge», sagt Jaisli. Kurzfristig würden auch Fachkräfte mit Löhnen zwischen 4500 und 5000 Franken nicht vom Druck eines Mindestlohnes von 4000 Franken betroffen. Trotzdem sagt sie: «Die Industriebranche droht ihre Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zum angrenzenden Ausland einzubüssen.»
Nimmt der Stimmbürger die Warnung ernst? Die Beispielrechnungen deuten darauf hin, dass das Portemonnaie des Konsumenten am Abstimmungssonntag vom 18. Mai eine marginale Rolle spielen dürfte. Kostenfolgen im einstelligen Bereich, die bis 2018 umgewälzt werden müssen, könnten für viele Konsumenten und Betriebe verkraftbar sein.

Quelle: Tages-Anzeiger 10.3.14 

siehe auch: Keine Torpedierung des Erfolgsmodells Schweiz - TA vom 10.3.14

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